1981 Lotus 88 John Player Special

Movie-Cars

Motorengröße

2993cm³

(183cuin)

Unique Cars

Leistung

490PS

(360KW)

Racing-Cars

Getriebe

Manuell

Racing-Cars

Preis

gegen Gebot

Technische Daten

Fahrzeugtyp
Formel 1
Motorentyp
Ford-Cosworth DFV V8, 90°
Zylinder
8
Fahrgestell-Nr.
88B/2 - 87/2
Wagenfarbe
schwarz
Interiorfarbe
schwarz

Interne Nummer #243

Beschreibung

Lotus 88 


Saison 1981 


Chassis 88b/2  und 87/2


Wer vieles versucht, kann auch öfter scheitern, und so hat sich bei Colin Chapman im Lauf der Jahre eine hohe Frustrationstoleranz ausgebildet. Aber die maßgeblichen Gefühle, die das Innenleben des Lotus-Gründers in der ersten Saisonhälfte 1981 bestimmen, sind nicht Frust oder Enttäuschung, sondern Empörung und Zorn.


Dass die Konkurrenz gegen seine Konstruktion Sturm läuft, hat Chapman erwartet, und so hat er sicherheitshalber zwei konventionelle Lotus 81 zum Saisonauftakt nach Kalifornien fliegen lassen. Überrascht ist Chapman eher, dass sein größter Coup zuvor die technische Abnahme ohne Beanstandungen passiert hat. Das aber weckt die Wut. Wie kann ein solches Auto dann plötzlich illegal sein? Der Unwille wächst noch, nachdem ein US-Sportgericht befindet, dass der Lotus durchaus dem Reglement entspricht, was die Rennkommissare aber nicht daran hindert, die neuen Lotus-Renner am Abend nach dem Freitagstraining aus dem Wettbewerb zu nehmen. 


Stein des Anstoßes ist der Umstand, dass Chapman und sein Aerodynamik-Guru Peter Wright eine Konstruktion an den Start bringen, die weit jenseits der Vorstellungskraft der Regelhüter liegt. Der Weltmotorsport-Verband FISA will die aerodynamischen Auswüchse der letzten Jahre einbremsen und schreibt für 1981 erstens ein Verbot beweglicher aerodynamischer Hilfen, als auch eine Mindestbodenfreiheit von sechs Zentimetern vor. Ein dank der gängigen Schürzen dichter Luftabschluss unter dem Auto ist damit unmöglich, das Thema Wing Cars praktisch beerdigt. 


Es sei denn, man käme auf die Idee, auf das eigentliche Chassis noch ein zweites zu setzen, das mit kurzen Schraubenfedern mit dem Fahrgestell verbunden ist, und sich bei höherem Tempo durch den zunehmendem Luftstrom absenkt, womit es doch wieder für einen seitlichen Abschluss der Schürzen zur Fahrbahn sorgt. Das ist das Konzept des Lotus 88, das Chapman von langer Hand vorbereitet hat. Schon im Oktober 1979 hat das Team einen Prototypen mit der Bezeichnung Lotus 86 getestet. Im November 1980 ist der erste Lotus 88 fertig.


Drei Verbindungsstreben stabilisieren die Außenhülle, an der Seitenkästen Wasser- und Ölkühler und als Verlängerung der Seitenkästen der Heckflügel angebracht sind. Eine der Streben verläuft direkt durch das Cockpit. Wenn der Fahrer die Beine streckt, senken sich die Seitenkästen, Beinfreiheit gibt es in diesem Lotus nur, wenn er ordentlich Fahrt aufgenommen hat.


Colin Chapman sorgt für Verwirrung, denn das Monocoque, in dem der Fahrer sitzt, und an dem Fahrwerk, Cosworth-V8-Motor und Hewland-Getriebe angebracht sind, nennt er „secondary Chassis“, also das zweite. Nach seiner Sprachregelung ist das erste Chassis die Außenhülle. Bei dieser sind alle Teile fest miteinander verbunden, so gibt es nach Chapmans Interpretation keine beweglichen aerodynamischen Teile. Und wo findet sich im Wortlaut des Reglements überhaupt der Passus, dass es nur ein Chassis geben darf? 


Die FISA-Ingenieure sind einigermaßen ratlos, und sie müssen zugeben, dass der vorgeschriebene Bodenabstand in der Praxis nicht zu kontrollieren ist. Brabham-Chefkonstrukteur Gordon Murray beispielsweise hebelt die Regel mit einem Hydrauliksystem aus, das seine Autos erst bei Rückkehr in der Boxengasse auf die geforderten sechs Zentimeter hebt. Der Brabham indes wird für regelkonform erklärt, bezüglich Lotus schiebt die FISA dagegen eine „Präzisierung“ des Reglements nach, die ein Doppelchassis ausschließt. Chapman schimpft, die Sporthoheit habe ihr eigenes Statut gebrochen, das nämlich garantiert mindestens zwei Jahre Regelstabilität. FISA-Präsident Jean-Marie Balestre nutzt die einzige Hintertür, die dennoch spontane Änderungen erlaubt: Sicherheitsgründe.


Das bringt Chapman noch mehr auf die Palme. Er will die aerodynamischen Einflüsse weitgehend vom restlichen Fahrwerk abkoppeln. Die verordnete Beschneidung der Schürzen und die geforderte Mindestbodenfreiheit haben zu winzigen Federwegen geführt. Die Dämpfung ist weitgehend den Reifen überlassen. Die Fahrer sind im Cockpit heftigen Schlägen und Vibrationen ausgesetzt. Bodenwellen und Curbs verursachen heikle Strömungsabrisse. Chapman hält seine Lösung für zukunftsweisend, sicherer und komfortabler.


Weil sich alles Augenmerk beim Lotus 88 auf das Thema Aerodynamik konzentriert, geht eine zweite Motorsport-Revolution fast unter: In den Annalen gilt McLaren-Konstrukteur John Barnard als das Genie, das die erste Fahrgastzelle aus Kohlefaser in den Rennsport brachte. 1981 stellt das Team von Ron Dennis tatsächlich mit dem MP4 das erste Auto mit Karbon-Chassis in die Startaufstellung – aber nur, weil der Lotus 88 mit seinem schon 1979 entwickelten Verbund-Monocoque aus leichtem und steifen Karbon, sowie gegen Einschläge enorm widerstandsfähigen Kevlar-Fasern nicht starten darf.


Balestre hat die Entscheidung des US-Gerichts mit der Behauptung  vom Tisch gewischt, sie gelte nur auf amerikanischem Boden, das zweite Saisonrennen wird indes in Brasilien ausgetragen. In Rio dürfen Elio de Angelis und Nigel Mansell gar nicht erst aus der Box rollen. Abermals haben ihre Sportgeräte die Technische Abnahme passiert, umgehend protestieren unter den Rädelsführern Ferrari und Williams die anderen Teams. Die Rennkommissare drücken zur Beweisführung einfach das äußere Chassis so weit herunter, bis es den Boden berührt. Die Fahrer müssen wie auch zwei Wochen später in Argentinien abermals im Typ 81 starten.


Zuvor sind der britische und der französische Verband vor das oberste FIA-Gericht gezogen, um den neuen Lotus aus dem Verkehr zu ziehen. Hinter dem Vorstoß des Royal Automobil Club stehen McLaren und Williams, hinter dem des FFSA die Teams Renault und Ligier, die sich vor einer erneuten Lotus-Dominanz wie 1978 fürchten. Und im Hintergrund zieht Ferrari Fäden. Die Italiener drohen im Fall der Legalisierung des Lotus 88 mit Rückzug. Die Turbo-Fraktion aus Italien und Frankreich sieht ihren dank gestiegener Leistung, Fahrbarkeit und Zuverlässigkeit ihrer Motoren wachsenden Wettbewerbsvorteil bedroht, wenn der neue Lotus in den Kurven Kreise um sie fährt.


Dabei ist keineswegs klar, wie groß die Bedrohung eigentlich ist. Die ersten Tests des 88 waren wenig vielversprechend. Weil das Auto ständig am Start gehindert wurde, bleiben bis heute als Referenz die Rundenzeiten des ersten Trainingstages in Silverstone, wo beiden Lotus-Fahrern knappe vier Sekunden auf die Bestzeit von René Arnoux im Renault fehlten. Beim Anbremsen reißt immer wieder die Strömung ab, der Abtrieb geht verloren, das Fahrverhalten wechselt schlagartig von neutral auf übersteuernd. Angesichts der mangelnden Praxis ist der Umstand, dass Lotus vor der Saison von den gewohnten Goodyear-Reifen auf Michelin umgestiegen ist, nicht gerade hilfreich.


Das Rennwochenende in Buenos Aires lässt Chapman aus, er fliegt lieber nach Florida, um den ersten Start des Space Shuttles mitzuerleben – nicht ohne vorher eine Briefbombe zu deponieren: In einer Presserklärung nennt er die Formel 1 einen Sumpf von Abkupferei, Schikanen und willkürlichen Entscheidungen, betrieben von Menschen, denen der Sport nichts bedeute. Das geht klar gegen Balestre, und der antwortet mit der Drohung einer Strafe von 100000 Dollar und weiteren Maßnahmen. In Paris ist die Akte Lotus 88 auf drei dicke Ordner angewachsen. Am 23. April erklärt das FIA-Schiedsgericht das Auto für illegal.


Vor dem vierten Rennen in Imola zieht Chapman demonstrativ beide Autos zurück, seine Mannschaft arbeitet notgedrungen bereits an Plan C: einem auf konventionelle Technik umgestrickten 88 mit der Typenbezeichnung 87. Chapman macht noch einen letzten Versuch: Er lässt Getriebeölkühler und Bremsbelüftungen am äußeren Chassis montieren, nennt diese Evolutionsstufe 88b und bezeichnete das Doppelchassis-Konzept nun als „zwei gefederte Strukturen“.


Er scheint das Tauziehen doch noch zu gewinnen. Bei der Vorführung zweier 88 vor dem britischen Motorsportverband im Juni erkennen die Funktionäre keinen Bruch des Reglements. In Silverstone winken die Technik-Kommissare zwei 88b bei der Abnahme durch. Alfa, Ferrari und Talbot-Ligier protestieren umgehend, Balestre droht, den GP England dauerhaft zu streichen. Prompt werden beide Autos abermals vor dem Start disqualifiziert. Der Machtkampf ist vorbei und damit auch die Geschichte der vielleicht cleversten Idee in der Formel-1-Historie. Was nützt es da, dass Louis Quinou, der aktuelle FIA-Direktor für historischen Motorsport, den 88 nach dem ursprünglichen Wortlaut des Reglements vier Jahrzehnte später für legal erklärt? 


Lotus hat nur drei 88 aufgebaut. Chassis Nummer eins befindet sich im Besitz des Classic Team Lotus, die anderen beiden sind Teil der Black & Gold-Collection, wo der Typ 88 auf den ersten Blick gar nichts zu suchen hätte, denn das Auto war zunächst in den Farben der Ölfirma Essex lackiert. Aber nach deren Untergang im Frühsommer 1981 trat der 88 bei seinem letzten Einsatz in Silverstone wieder in Schwarz an, wenn auch nicht mit der klassischen John-Player-Special-Aufschrift. In Großbritannien ist Tabak-Werbung bei TV-Sendungen mittlerweile verboten, und so lässt Imperial Tobacco bei seiner Rückkehr zu Lotus in goldenen Lettern „Courage“ auf die Flanken schreiben, eine Biermarke, die neuerdings zum Firmen-Imperium gehört.


Nicht wenige nennen den Lotus 88 Chapmans letzten Geniestreich. In jedem Fall ist er eines der ganz raren Beispiele für ein Rennauto, das zur Legende wurde, ohne je ein Rennen gewonnen zu haben. Das holt das Team ChromeCars-Racing im Sommer 2022 nach. Die Mannschaft von Mike Gensemeyer setzt ihren 88b beim historischen Monaco-Grand-Prix ein. Auch dieses Mal gibt es Diskussionen. Die Rennleitung will das Auto nicht mit dem montierten Frontflügel zulassen, obwohl beim Silverstone-Training 1981 auch eine Version mit Front-Leitwerk für drei Runden zum Einsatz kam. Auch ohne Flügel steuert Nick Padmore den 88b/2 im Rennen der Dreiliter-Autos von 1981 bis 1985 auf Rang drei. Es ist ein historischer Moment: Der Lotus 88 hat doch noch an einem Rennen teilgenommen – 39 Jahre nach seinem Debüt.